4. Januar 2020

Die Sache mit der Zeit.

Uganda  // Uhr vs. Zeit


Mit Kampala - der Hauptstadt Ugandas - verbindet uns eine Art Hassliebe. Einerseits lieben wir derart lebendige Großstädte, in denen es so viele unterschiedliche Dinge zu tun und zu sehen gibt. Andererseits treibt uns das dort herrschende Chaos regelmäßig in den Wahnsinn. Besonders der Verkehr der Hauptstadt erreicht ein Chaos-Level, dass bisher beispiellos ist in unserer Reise-Karriere.

Das Haupt-Fortbewegungsmittel für die große Mehrheit aller Menschen, die sich kein eigenes Auto leisten können, sind auch hier die „boda-bodas“ (Motorradtaxis) die die Straßen der Stadt beherrschen. Überall sonst im Land macht das Motorrad Fahren viel Spaß - in Kampala ist es eher eine unangenehme Notwendigkeit, die wir, wann immer es möglich ist, versuchen durch lange Spaziergänge zu vermeiden.

Doch manchmal hat man keine andere Wahl als sich dem Chaos einfach auszuliefern. Trösten kann man sich damit, dass dies einfach dazu gehört zur Kampala-Experience. Je nach dem zu welcher Uhrzeit und durch welchen Teil der Stadt man gefahren wird verbringt man die meiste Zeit im totalen Stau-Stillstand, eingequetscht zwischen anderen Verkehrsteilnehmern.
Es gibt exakt eine Verkehrsregel an die sich jeder bedingungslos hält: Voran kommen um jeden Preis! Bildet sich in den ständig verstopften Stau-Straßen irgendwo ein Lücke muss man in diese hinein rollen - ohne Rücksicht auf Verluste! Denn natürlich ist genau diese eine Lücke auch das Ziel aller anderen Motorräder und nur der schnellste, dreisteste, rücksichtsloseste wird sie bekommen und einen oder zwei Meter näher an sein Ziel heranrollen. Anarchie total! Gibt es auf der Straße keine Lücken, weicht man auf Bürgersteige, die Gegenspur oder ins Gebüsch aus.
Man kann es sich in etwa wie in einem Video Game vorstellen, nur dass die anderen Verkehrsteilnehmer nicht virtuell sind, sondern eine ernsthafte Lebensgefahr darstellen.


Finde die Lücke!

Kampalas Minibus-Bahnhof:
 Man fragt sich wir die Busse in der Mitte jemals wieder heraus kommen sollen, doch die Sache hat mehr System als man zunächst vermutet


„Wir Europäer haben die Uhr und die Afrikaner die Zeit“ lautet eines der klugen Sprichwörter über diesen Kontinent. In vielen Teilen Afrikas, die wir bisher gesehen haben mag das zutreffen. Oft haben wir mit ungläubigen (heimlich aber auch neidischen Augen) auf all die Menschen geschaut die einfach nichts tun und abhängen. Die schlummernd unter einem Baum im Schatten lagen, die auf Bänken herum sitzend in die Ferne schauten oder die Straße vor ihren Häusereingängen beobachtet haben.
Doch in Kampala? Vergesst es! Niemand ist hektischer, unentspannter und drängelnder als die Ugander auf den Straßen ihrer Hauptstadt! Zeit scheint hier niemand zu haben der gerade unterwegs ist.

Ähnliches gilt für die Langstreckenbusse oder Matatus (Minibusse) die alle Städte des Landes miteinander verbinden. Es dauert gefühlte Ewigkeiten bis die Fahrzeuge gefüllt sind und sich endlich in Bewegung setzten. Dann wird noch ein Abschieds-Schwätzchen mit den Kollegen gehalten und  der Tank gefüllt – bloß keine Hektik. Sobald man aber unterwegs ist, wird die Strecke in halsbrecherischem, suizidalem Tempo angegangen. Einmal ist es verdammt knapp und wir sind nur Zentimeter davon entfernt ein kleines Kind mit zu reißen. Alle im Bus sind geschockt...wenige Minuten später rasen wir im gleichen Tempo an der nächsten Siedlung vorbei.

Uganda gehört weltweit zu den Ländern mit der höchsten Rate an Verkehrstoten. Der Ausbau des Straßennetzes um dem entgegen zu wirken, ist einerseits eine gute Sache. Doch andererseits gilt: Je besser die Straße desto schneller kann man fahren...und je schneller man fährt desto mehr Zeit hat man davor und danach übrig um abzuhängen. Ein merkwürdiges Paradoxon, dass man nicht verstehen, aber akzeptieren muss.

Ebenfalls KEINE Zeit hat man hier bei jeglichen Dingen, die erfordern, dass man sich in einer Schlange anstellt. Regelmäßig raste ich aus, weil Menschen sich nicht hinten, sondern vorne  anstellen. Doch ein solches Verhalten ist hier einfach ganz normal: der Dreisteste, Lauteste, Schnellste wird zuerst bedient, steigt als erstes in den Bus ein, drängelt sich am schnellsten durch verstopfte Marktstraßen - beschweren tut sich darüber niemand. Das mit der Zeit ist definitiv eine Sache die viele Facetten hat...

Wie so oft in Großstädten liegt auch in Kampala Reichtum und Armut erschreckend nah beieinander. Über 10 sogenannte „Slums“ liegen mitten in der Stadt verteilt. Seit Jahrzehnten leben Menschen in zusammengezimmerten Hütten ohne fließendes Wasser und Elektrizität auf einer Fläche zusammengepfercht, die von schicken Geschäften und noblen Einfamilienhäusern umgeben ist. Während die einen von der Hand in den Mund leben, genießen die anderen ihr Leben in teuren Restaurants und hochmodernen Shopping Centren.

Seit längerem füllen wir hier mal wieder ganze Tage damit die sogenannten „Sehenswürdigkeiten“ der Stadt zu besuchen: National Theater, Hindu Tempel, Gadaffi Moschee, verschiedenste Märkte, Kirchen, Botschafts-Viertel, Independance Monument. Sogar eine „Free-Walking-Tour“ kann man hier machen. Nebenbei gibt es Einblicke in die Vergangenheit des Landes unter Diktator Idi Amin. Trotz grausamer Diktatur und vielen Toten, genießt der Ex-Präsident hier bei vielen Menschen unerklärlicher Weise noch immer einen guten Ruf.
(Thematische Filmempfehlung: The last King of Scotland)


Gaddafi Moschee:
Der Name kommt daher, dass Gaddafi als Freund des Landes Uganda den Bau der Moschee finanziell ermöglicht hat


360° Panorama Ausblick vom Minarett der Moschee
Im Inneren der Moschee



in love with symmetry



Hindu Tempel in der Innenstadt:
In Kampala gibt es eine riesige Indische Community

Ausstellung und Preisverleihung der besten Pressefotografien Ugandas auf einem ungenutzten Bahngleis

großartige, einzigartige Location für dieses Event
In einem der ärmlich wirkenden Stadtteile in Hafennähe entdecken wir zufällig ein kleines,
unerwartetes Stück Subkultur. Hinter vielen engen, verwinkelten Gassen, die das Viertel eher wie ein eigenes, kleines Dorf wirken lassen, öffnet sich plötzlich eine freie Fläche, auf der sich ein kleiner aber feiner Skatepark befindet. Unsere Mzungu-Anwesenheit sorgt sofort für Aufmerksamkeit und wir werden freundlich von den anwesenden Skater-Jungs begrüßt. Sie scheinen sich wirklich über unseren Besuch zu freuen und führen uns begeistert auf dem Gelände herum und erklären uns das Projekt.
Wir erfahren, dass die deutsche Organisation SkateAid diesen Park gebaut hat und es der erste in ganz Ost-Afrika sei. Die Häuser-Wände um den Skatepark herum sind auffallend bunt im sonst eher tristen Umfeld des Viertels. Überall gibt es tolle Graffiti zu sehen, zum Teil mit politischen und feministischen Botschaften. Wir freuen uns sehr ein weiteres Beispiel der seltenen Kategorie „sinnvoller Projekte westlicher Länder in Afrika“ gefunden zu haben. Soweit wir das nach unserem Besuch beurteilen können, wird dieser Park von der Jugend des Viertels gerne und viel genutzt und bietet einen echten Mehrwert.

Mehr Infos zu dem Projekt findet ihr HIER





Abgesehen von ca. 2 Wochen in der Hauptstadt, verbringen wir auch viel Zeit in den kleinen bis mittelgroßen, vermeintlich unspektakulären Städten des Landes. Die Orte von denen der Reiseführer behauptet, dass es hier „für Touristen nichts von Interesse" zu sehen gäbe. Irgendwie ist da natürlich was dran… Touristische Orte sind meist nicht umsonst gut besucht. Will man aber versuchen das „echte“ Leben des Landes kennen zu lernen oder zu beobachten, eignen sich genau diese „uninteressanten“ Orte unserer Meinung nach am besten. Mbarara, Kasese, Mbale, Arua, Gulu oder Masaka zum Beispiel. Statt Sehenswürdigkeiten finden wir hier andere Dinge:

Manchmal ist es der Start in den Tag am Straßenstand unseres Vertrauens, wo wir den Verkäufer schon vom gestrigen Besuch kennen. Wir sitzen am Tresen, der selbst gezimmerten, windschiefen Holzbude und beobachten wie auf einer schweren Pfanne über einem Eimer glühender Kohlen die „Pizza Ugandas“ gebraten wird: Ein Omlett, das in ein Chapati eingerollt wird und deshalb „Rolex“ (rolled Eggs) genannt wird.

Woanders finden wir zufällig einen kleinen, im Schlamm versunkene Rummelplatz. Die fragwürdigen Karussells lassen wir aus, gewinnen aber dafür beim Ringe-Werfen eine seit Stunden in der Sonne brutzelnde Fanta. Juchuuu! Und weils so schön ist, lassen wir ein Erinnerungsfoto von uns als König und Königin im roten Plastik-Herz-Sofa shooten.

Wir finden den besten Brownie des Landes, trinken Kaffee am Straßenrand und beobachten dabei wie das Dorf Sonntags in den besten Kleidern die Kirche besucht. Kenneth lässt sich in lokalen Barber Shops seinen Bart rasieren und wir entdecken einen gut sortierten Second-Hand Markt in dem wir einen Teil unserer verschlissenen Kleidung gegen neue Teile aus west-europäischen Altkleiderkontainern eintauschen.

In Masaka machen wir in unserem Lieblings-Cafe „Grassroots“ zufällig die Bekanntschaft einer Gruppe deutscher Volunteers, die in einer Musikschule für Flüchtlings- und Waisenkinder verschiedene Instrumente unterrichten. Wir werden zu einem kleinen Konzert am kommenden Tag eingeladen und stoßen ganz unfreiwillig schon wieder auf ein Projekt das wir absolut unterstützenswert finden. Vor allem weil hier zur Abwechslung keine weißen Hände im Spiel sind. Sowohl die Musikschule, wie auch ein dazugehöriges Waisenheim wurde von einer ugandischen Familie aus dem Ort gegründet und bis heute geleitet. Da Teile der Familie mittlerweile in Deutschland leben kommen fast alle Spendengelder, sowie die gespendeten Instrumente von dort. Nur 10 Euro kostet es pro Monat einem Kind die musikalische Erziehung zu ermöglichen und das Projekt zu unterstützen. Mehr Infos HIER

Lieblingscafe in Masaka: Grassroots

Konzert in der Musikschule

Wie lange dauert es bis die Klamotten aus unseren Altkleider Containern es auf die afrikanischen Märkte schaffen?
Dieses Shirt einer Bundeswehr-Kampagne war wohl ein absolutes Lieblingsteil und bereits wenige Wochen nach Kampagnen-Start in Uganda zu kaufen ;-)

Ein Rolex Verkäufer, der versucht Deutsch zu lernen.
Zumindest kann er sich mit dieser Stand-Bemalung sicher sein, dass kein Deutscher hier vorbeigeht ohne ein Schwätzchen zu halten :-)
Kaffee am Straßenrand

Kirmes

Hauptgewinn beim Ringe werfen

...und ein Erinnerungsfoto auf Papier

in der Grenzregion zum Kongo muss man sich das Händeschütteln abgewöhnen

mutige, fortschrittliche Kampagne der größten Biermarke Ugandas - immer wieder stößt man hier auch auf  Dinge,
die einen positiv überraschen






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