26. Januar 2020

Ungewollte Privilegien.

Tansania // 24 Stunden mit dem Zug durchs Land:


Nach der Grenz-Überquerung von Uganda nach Tansania stellen wir als erstes fest, dass uns mit Englisch hier niemand mehr versteht. Selbst die einfachsten Dinge, wie einkaufen auf dem Markt oder Essen bestellen, funktionieren nur sehr schwierig. „Macht nichts! Dann lernen wir eben Suaheli“, beschließen wir mit grenzenlosem Optimismus.


Als eine der weit verbreitetsten Sprachen Afrikas würde das Erlernen durchaus Sinn machen, zudem befinden wir uns für mindestens drei weitere Monate in Suaheli-sprachigen Ländern. Mit hoher Motivation lernen wir innerhalb der ersten Tage von Null bis unendlich zu zählen und können somit zumindest nach dem Preis fragen und die Antwort verstehen. Das hilft bereits enorm weiter und wird zudem positiv zur Kenntnis genommen. Auch ein paar gängige Floskeln und Small Talk Dialoge können wir in unseren Gehirnen speichern:
"Jina langu ni Inga" (Ich heiße Inga)
„Mimi kuja kutoka Ujerumani“ (Ich komme aus Deutschland)
„Mimi ni wa mboga“ (Ich bin Vegetarier*in).
Da die zum Teil sehr komplizierten Wortkonstrukte keiner uns bekannten Sprache auch nur im entferntesten ähneln, wird das ganze zu purem Gehirn-Jogging und ist letztendlich (natürlich) viel schwieriger als erwartet.

Nach den ersten 3 Stopps in Tansania haben wir in Bukoba das (unserer Meinung nach) schönste Küsten-Stückchen des riesigen Victoria-See gefunden, sind in Mwanza zu schöne Fels-Formationen mit am Hang hängende Häuser gewandert und haben festgestellt, dass es in Tabora noch nicht mal Restaurants gibt in denen man Essen bekommt.

Die Küste des Victoria Sees in Bukoba


Alte Bahnhöfe: Sehr fotogen!

Wanderung in Mwanza



Tansania ist ein riesiges Land und die Distanzen die man hier zurück legen muss um irgendwo hin zu kommen dauern Ewigkeiten. Neben all dem Unsinn hat die Kolonialzeit jedoch auch etwas positives hinterlassen: Das Land wird seit Besatzung der Deutschen und Engländer von einigen Zuglinien durchkreuzt. Auch wenn allgemein behauptet wird, dass Zug fahren hier weder schneller noch angenehmer sei als Bus fahren, lassen wir uns die Gelegenheit auf eine Fahrt in unserem Lieblings-Transportmittel nicht entgehen. Von Tabora bis nach Dar es Salaam, an der Küste des indischen Ozeans, wollen wir fahren -  also quasi einmal quer durchs Land.

Der Bahnhof in Tabora wirkt wie aus einer anderen Zeit – und genau genommen ist er das auch. Man hat nicht den Eindruck, dass hier nach der Kolonialzeit noch etwas renoviert oder verändert wurde.
Am Ticket-Schalter müssen wir leider herausfinden, dass alle Züge in den nächsten 6 Tagen bereits restlos ausgebucht sind. Damit hatten wir nicht gerechnet. Was nun?
Während wir noch unentschlossen in der Bahnhofhalle herum stehen spricht uns ein Junge an. „How are you?“ Nicht so gut sagen wir, die Züge sind alle ausgebucht und das ist Mist! Verständnisvolles Nicken. Nachdem, er erfahren hat woher wir kommen folgt die übliche Aufzählung aller Fußballspieler die ihm aus unseren Ländern bekannt sind – und das sind so einige. Anerkennendes Nicken unserseits, der Junge verabschiedet sich. Wie so oft verhindert die Sprachbarriere jede tiefer gehende Konversation.
Wir sind noch immer dabei uns in der Bahnhofshalle das weitere Vorgehen zu überlegen, als der Junge wenig später zurück kommt und gestikuliert, dass wir ihm in ein Büro folgen sollen. An der Aufschrift über der Tür lesen wir, dass hier der Stations-Manager sitzt.
Der Mann spricht gut Englisch und wir erläutern erneut unsere Situation. Es folgt ein kurzes Telefonat von dem wir nur die Wörter „Ausländer“ und „Zug“ verstehen. Wenig später halten wir eine Reservierung für zwei Sitzplätze in der zweiten Klasse für den morgigen Zug in der Hand. Ganz ohne Anstellen am Schalter mit der großer Menschentraube, sondern bequem sitzend im Büro.

Ein klarer Fall von (positivem) Rassismus. Wäre unsere Haut nicht weiß, hätten wir diese Tickets niemals bekommen. Normalerweise würden wir jede Bevorteilung auf Grund unserer Hautfarbe ablehnen, denn dies sollte natürlich definitiv kein Grund sein eine besondere Behandlung zu genießen. Doch hier ist eine Ausnahme fällig, beschließen wir, und nehmen das unnötige aber hilfreiche Privileg dankend hin.

Startpunkt unserer Zugreise: Der Bahnhof in Tabora


Zug-Gleise in Tabora (bei Tag)


Am nächsten Abend laufen wir durch einen spektakulären Wolkenbruch zum Bahnhof um mindestens eine Stunde vor Abfahrt des Zuges vor Ort zu sein. Deutsche Pünktlichkeit, ihr wisst schon...Am Bahnsteig wartet bereits eine beachtliche Menschenmenge. Der Regen verwandelt sich in ein handfestes Unwetter: es pfeift und prasselt um uns herum und es dauert nicht lange bis es anfängt durchs verrostete Wellblech-Dach zu tropfen. Auf dem Bahnsteig bilden sich ernst zu nehmende Seen und Flüsse. Die wenigen trockenen Stellen auf dem Asphalt reduzieren sich zunehmend und zwingen die wartenden Menschen immer weiter zu zusammen zu rücken.

Nach etwa einer Stunde spricht uns eine ältere Frau an. Sie ist die Stations-Managerin des heutigen Tages und teilt uns mit, dass der Zug erst mit ca. 8 Stunden Verspätung eintreffen wird. Puhhh!
Wir werden in ihr veraltetes Büro gebeten, indem eine Menge interessanter Zugfahrts-Reliquien aus vergangenen Zeiten herumstehen. Über die Funktion dieser Dinge können wir nur rätseln, benutzt werden sie sicher schon lange nicht mehr.
Die freundliche Frau bietet uns an in ihrem Büro auf einer Bank zu warten, anstatt draußen bei den anderen Fahrgästen. Nett gemeint, aber auch für diese Angebot gibt es keinen richtigen Grund – außer, dass wir weiße Ausländer sind. Ähnliches Dilemma wie beim Ticket-Kauf – Was tun?
Auch wir sind letztendlich nur Opportunisten und in einer solchen Situation ist es leider zu einfach all seine Prinzipien über Board zu werfen.
Die Alternative wäre, wie alle anderen Wartenden die Nacht auf dem kalten, feuchten Betonboden unter einem undichten Wellblech-Dach mit all unserem Gepäck im Dunklen zu verbringen…wenig verlockend.
Aus dem warmen, trockenen Büro beobachte ich die Menschen auf dem Bahnsteig. Viele Kinder sind dabei - sogar Babys - die in Decken gewickelt auf den Gepäckstücken „gebettet“ wurden. Das schlechte Gewissen lässt grüßen.

Die Stations-Managerin in ihrem Büro: unser "zuhause" für eine Nacht.

Der Bahnhof kurz vor der offiziellen Abfahrtszeit des Zuges...

....nach stundenlangem Regen


"Aussicht" aus dem Büro in dem wir warten, auf die Menschen die am Gleis ausharren...


Aus den angekündigten 8 Stunden Verspätung werden letztendlich 13. Nachdem wir eine komplette Nacht im Büro am Bahnsteig verbracht haben fährt unter lautem Gehupe bei Einbruch des Tages unser „Deluxe Train“ (ausgesprochen: Deeehhlaxx trenn) ein. Nun beginnt also die eigentliche Reise und wir richten uns häuslich in unserem Abteil ein. Die Sitze sind zwar nicht „exeptionell“ wie angekündigt, aber durchaus bequem.
Während das halbe Land am Fenster an uns vorbei zieht, schlummern wir vor uns hin, lesen, hören Musik und schauen in die Landschaft hinaus. Die Zeit vergeht wie im Flug obwohl der Zug alles andere als schnell ist. Immer wieder machen wir längere Pausen von bis zu einer Stunde, in denen man aussteigen und sich die Beine vertreten kann. Sobald der Zug irgendwo zum stehen kommt, laufen die Bewohner der nahe liegenden Dörfer an den Fenstern auf und ab und bieten lautstark alles mögliche zum Kauf an. Auch kleine Essens-Stände wurden errichtet - verhungern oder verdursten muss hier kein Zug-Reisender. Mit unseren Tupper-Dosen (→ immer dabei zur Vermeidung von unnötigen Plastik-Verpackungen) gehen wir auf die Suche und erstehen ein leckeres Reisgericht mit einer Sauce aus grünen Blättern, Maiskolben, Bananen, Kekse und mehr.
Auch mit nützlichen Haushaltsgegenständen kann man sich unterwegs eindecken und die Zeit vertreiben. Einmal wimmelt es von Frauen, die selbst geschnitzte Holz-Kochlöffel anbieten, an der nächsten Station gibt es geflochtene Körbe und Hüte.
Die Abfahrt des Zugs wird jedes mal durch ein langes Hupen angekündigt, damit niemand versehentlich zurück bleibt.

Abfahrt am Morgen, nach einer schlaflosen Nacht


Die zweite Klasse des "Deluxe Train"

Pause


Um 7 Uhr morgens, nach ziemlich genau 24 Stunden und 800km, erreichen wir ein überflutetes Dar es Salaam. Die Straßen stehen bis zu 30cm unter Wasser und wir müssen weite Kreise laufen um die Seen zu umgehen. Erschöpft stürmen wir das erstbeste Hotel und fallen ins Bett.

Überschwemmung in Dar es Salaam

Häuserschluchten

Großstadt-Programm: Kinobesuch!
Es mag sein, dass wir uns beim Suchen nicht genug Mühe gegeben haben, aber in Dar es Salaam finden wir kaum etwas das uns so richtig begeistern kann. Abgesehen von der „Temple Street“ mit ihren großartigen vegetarischen, indischen Restaurants. So packen wir nach 3 Tagen erneut zusammen und ziehen weiter.

Die fantastische App „I Overlander“ (eine Art crowdsourcing-Reiseführer in Form einer offline Karte), die uns schon so oft zu Highlight-Orten auf diesem Kontinent geführt hat, empfiehlt eine noch nicht offiziell eröffnete Lodge mit Camping-Möglichkeit ca. 30km von Dar es Salaam entfernt.
Wir werden nicht enttäuscht und finden uns pünktlich zu Weihnachten in unserem ganz persönlichen, (fast) unentdeckten Paradies ein. Palmen, weißer Sandstrand, türkises Wasser, kaum andere Menschen und eine Strohhütte mit Bar und kalten Getränken. Perfekt! Wir verbringen ein wunderschön unweihnachtliches Weihnachten mit zwei reisenden Belgiern und einem Holländer...und weils so schön ist feiern wir eine Woche später nochmal ein entspannt-fröhliches Silvester mit Gin Tonic und Lagerfeuer am Strand.

Liebe auf den ersten Blick bei der Ankunft


Selten waren wir an einem Strandort, der sich so fantastisch zu schwimmen eignete.
Durch ein Riff ist der Strand-Abschnitt frei von Wellen und Brandung und bei Flut bildet sich eine Lagune die der perfekte natürliche Pool ist.




Achtung Achtung: In genau so einem Wohnmobil möchte ich leben wenn ich mal groß bin...

Weihnachtsrunde: Tim und Saartje aus Belgien sind auf der Suche nach ihrem persönlichen Paradies, wo sie ihr eigenes Guesthouse eröffnen wollen. Viel Erfolg!

Silvester-Party in der Strandbar



Wir gehen nicht davon aus, das dieser Strand-Ort noch getoppt werden kann. Aber man weiß ja nie...und deshalb suchen wir sicherheitshalber weiter. Als nächstes auf Sansibar….

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