27. Oktober 2019

Ein anderes Afrika.

Regeln und Ordnung in Ruanda - Wo ist das Chaos?


Ruanda - das Land der perfekt gestutzten Hecken in penibel gepflegten Vorgärten, der  sauberen Straßen in perfektem Zustand, der komplett Müll-freien Städte und Dörfer.... Nein, damit kann auch Deutschland nicht mithalten. Nach den Erfahrungen der letzten 10 Monate in West-Afrika können wir kaum glauben, dass wir uns noch auf dem gleichen Kontinent befinden. Das Chaos, an das wir uns so gewöhnt haben, sucht man hier vergebens. Aber beginnen wir am Anfang...


Wie immer sind wir vor Einreise nur mäßig gut auf das neue Land vorbereitet. Eine der ersten Dinge über Ruanda erfahren wir durch eine Flugzeug-Durchsage kurz vor der Landung: Im gesamten Land herrscht ein Plastik-Tüten-Verbot und alle Fluggäste werden aufgefordert eventuelles Plastik in ihrem Gepäck am Flughafen zu hinterlassen. WOW! Ein quasi revolutionäres Gesetz. Zehn Monate lang haben wir in West-Afrika panisch „No, No, Noooooo! We don´t need a bag“ gerufen sobald wir irgendetwas gekauft haben. Oft waren wir zu langsam, denn selbst wenn man eine einzelne Banane zum direkten Verzehr kaufte, wurde diese sofort und kompromisslos in eine Plastik-Tüte gesteckt.

Glücklicherweise hört es in Ruanda bei besagtem Tüten-Verbot nicht auf. Erfrischungsgetränke werden (fast) ausschließlich in Mehrweg-Glasflaschen verkauft, es gibt Refill-Stationen für Trinkwasser und auch endlich wieder echte Gläser (aus Glas) zum Bier. Das Resultat ist im gesamten Land sichtbar. Es herrscht ein völlig anderes Bewusstsein, was dazu führt, dass im gesamten Land einfach kein Müll herum liegt. Wirklich KEIN Müll, einfach GARKEINER.
Erstaunlich, dass ein kleines, afrikanisches Land wie Ruanda solch sinnvolle Gesetze verabschiedet und ein so genanntes „entwickeltes“ Land wie Deutschland es nicht auf die Kette kriegt.

Passend zum Thema "Müllfrei": Unsere Zero-Waste Reise-Kaffeemaschiene


Der erste Eindruck von Kigali - der Hauptstadt Ruandas - haut uns quasi vom Hocker! Eine echte Stadt – auch nach unserer europäischen Auffassung einer Stadt! Bürgersteige zum Flanieren, ein richtiges Stadtzentrum, moderne Gebäude, absolute Sauberkeit und Ordnung. (Der Spießer in meinem Herzen macht einen Freudensprung) Schön hier!

Skyline Kigali







Wie schon des öfteren auf dieser Reise, benutzen wir hin und wieder gerne „couchsurfing“ um bei Einheimischen oder zeitweise im Land lebenden Expats unter zu kommen. Ist nicht nur völlig unkommerziell (also umsonst) sondern auch einfach nett und interessant. Schlechte Erfahrungen haben wir damit bisher kaum gemacht, doch unser Gastgeber in Kigali setzt bisher unbekannte Maßstäbe in Sachen Gastfreundschaft. Abgesehen von einem riesen Haus in dem wir 5 Nächte residieren, kommen wir in den Genuss einer privaten Köchin, die jeden Abend köstliche indische Currys auf den Tisch stellt. Am Sonntag hat sie frei, weshalb unser Gastgeber seine Freunde und uns in das beste indischen Restaurants der Stadt einläd. Das ist zwar mehr als großzügig, aber natürlich absolut nicht nötig. Mindestens genauso wichtig ist: Anand, ein Inder der beruflich in Kigali lebt, ist ein wahnsinnig sympatischer, interessanter und freundlicher Zeitgenosse. Wie so oft bei Couchsurfing-Bekanntschaften, werden wir ihn persönlich wahrscheinlich nicht wiedersehen. Die Großzügigkeit die uns entgegen gebracht wurde, werden wir deshalb an andere Menschen weitergeben. Wenn wir irgendwann wieder einen festen Wohnsitz haben, werden wir Gäste bei uns aufnehmen (und bewirten) um das Karma im Gleichgewicht zu halten. What goes around comes around: Selten trifft dies so gut zu wie auf das Couchsurfing-Prinzip.

Auch kulinarisch gibts positives zu vermelden. In Ruanda gibt es lokal produzierten Käse, echtes Brot und richtig guten Kaffee. Letzteren bekommt man sowohl in allen Märkten zu kaufen wie auch in fancy Hipster-Kaffees serviert. In jedem Ort den wir besuchen, erwählen wir wohlüberlegt ein Lieblings-Cafe, wo wir bevorzugt abhängen und uns vorm Regen verstecken.

Wenn man Geld einsparen möchte, isst man am besten in lokalen Buffet-Restaurants. Zwischen 1 und 2 Euro kann man sich hier seinen Teller mit Buffet-Essen vollladen. Die Auswahl ist zu 98% ein kalorienreicher Mix aus Kohlenhydraten: Verschiedene Sorten Kartoffeln, Bohnen, Kochbananen, Fritten, Reis... Macht eher satt als zufrieden.
Es scheint eine nationale Kunstform zu sein möglichst hohe Berge an Nahrung auf seinen Teller zu türmen. Noch erstaunlicher ist jedoch, dass Einheimische ganz normaler Statur diesen Teller in kürzester Zeit ohne Probleme leer futtern können. Respekt, da können wir nicht mithalten!

Projekt Kalorien-Anfressen! Hier: Pasta in Käsesauce.
 Ich habe unfreiwillig viele Kilos verloren seit Beginn der Reise.

Bester Kaffee-Laden des Landes: Coffee ConneXion in Huye

So sieht das ruandesische Buffet Essen im besten Fall aus


Ruanda wird „das Land der 1000 Hügel“ genannt. Im Laufe unseres Aufenthalts sind wir gefühlt über fast jeden dieser Hügel gefahren oder gelaufen. So gar nicht passt diese Landschaft zu dem was in den meisten Köpfen als Afrika-Klischee herumspukt. Saftig grüne Hügel wohin man schaut, nahezu jeder Quadratmeter wird dazu genutzt irgendetwas anzubauen. Hauptsächlich Kaffee und Tee, aber auch ein breites Spektrum an Obst und Gemüse.
Und noch etwas ist neu: Das Busfahren macht wieder Spaß! Nicht nur die Straßen sind in bestem Zustand, auch die Busse in denen wir galant über den spiegelglatten Asphalt gleiten sind um Klassen besser als zuvor. Da das Land nicht besonders groß ist, die Aussicht aber umso schöner, bin ich jedes mal etwas traurig wenn wir viel zu schnell am Ziel ankommen.

Neongrüne Tee-Plantagen


Eine weitere (für uns) neue Form der Fortbewegung bieten die „Boda-Bodas“, Motorrad-Taxis die scheinbar immer und überall in großer Anzahl darauf warten uns irgendwo hin zu fahren. Diese Art des Vorankommens macht Spaß, ist schnell, günstig und unkompliziert. In Ruanda, dem Land der Regeln und Ordnung, besteht für Fahrer wie Passagiere Helm-Pflicht. Das, was wir zunächst anerkennend zur Kenntnis nahmen, ist auf den zweiten Blick leider absolut kontraproduktiv. Die Helme sind durchweg mehrere Nummern zu groß für normale Menschenköpfe und der Befestigungs-Gurt unterm Kinn quasi immer kaputt oder gar nicht vorhanden. Um den Helm also nicht während der Fahrt zu verlieren, muss man ihn mit mindestens einer Hand auf dem Kopf festhalten. Diese eine Hand fehlt dann wiederum um sich selbst am Motorrad fest zu halten und nicht runter zu fallen. Hat man zusätzlich auch noch ein Gepäckstück dabei, wirds richtig wackelig. Fazit: Der Helm ist leider ausschließlich Dekoration.

Mit Gepäck auf einem Boda-Boda: Balance-Act und Bauchmuskeltraining



Abgesehen von der Kolonialisierung hat Ruanda eine besonders tragische Geschichte der jüngeren Vergangenheit aufzuweisen. 1994 tötete die ethnische Gruppe der „Hutus“ in einem blutigen Genozid innerhalb von nur 100 Tagen über eine Million Menschen der ethnischen Minderheit „Tutsis“. (Thematische Filmempfehlung: „Hotel Ruanda“)
Mal wieder müssen wir feststellen, dass unsere Länder auch in dieser Tragödie ihre Finger im Spiel hatten. Die erst deutschen und später belgischen Kolonialherren gaben sich große Mühe das „Rassenbewusstsein“ der beiden ethnischen Gruppen zu stärken. Durch Kennzeichnung der „Rasse“ im Pass und Bevorteilung der vermeintlich klügeren Ethnie der "Tutsis", schürte die Kolonialmacht Haß und Vorurteile die sich später manifestierten. Die Franzosen taten das übrige, trainierten die Armee der Hutus und versorgten sie mit Waffen. Die UN wäre die letzte Instanz gewesen um das Schlimmste zu verhindern, doch zieht ihre Truppen zur entscheidenden Zeit aus dem Land ab, anstatt einzugreifen.

Mit internationaler Hilfe (vor allem finanzieller) hat Ruanda es (oberflächlich betrachtet) erstaunlich schnell geschafft die grausame Vergangenheit auf zu arbeiten und ein erneutes, friedliches Zusammenleben von Hutus und Tutsis zu ermöglichen. Wie genau es möglich ist Seite an Seite mit Menschen zu leben, die ein paar Jahre zuvor mit Macheten die eigene Verwandschaft zerstückelt haben, bleibt mir trotzdem ein Rätsel.

Da die Massaker flächendeckend im gesamten Land stattfanden, findet man heute konsequenter Weise auch in fast jedem Ort ein Memorial, an dem man der Opfer gedenken kann.
Wir besuchen die größte Gedenkstätte in der Hauptstadt mit beeindruckendem Museum. Außerdem eine ehemalige Schule in Murambi. Zu diesem strategisch gut, weil abgelegenen, Ort auf einem Hügel wurden hilfesuchende Menschen gelockt um dort später gesammelt hingerichtet zu werden. Einige Hundert Leichen wurden nach Ende des Genozids aus den Massengräbern exhumiert, mit Leim konserviert und auf den Schultischen ausgelegt. Ein furchtbarer, verstörender Anblick. Nach den ersten paar Räumen beschließen wir die restlichen nicht mehr zu besuchen.

Never again ist auch hier der Slogan...hoffentlich.

Kigali Memorial Center

Gedenktafeln mit den Namen der vielen Opfer

Murambi Genocide Memorial
In diesem Haus wurden 7 belgische UN Blauhelme in den ersten Tagen des Genozids erschossen.
Ruanda hat es relativ erfolgreich geschafft Tourismus als Wirtschaftszweig im Land zu etablieren. Allerdings ist es offensichtlich eher das Ziel das reiche Klientel anzulocken, anstatt Backpacker wie uns. Alle touristischen Aktivitäten und Touren im Land sind unserer Meinung nach unverhältnismäßig teuer.

Die größte Attraktion des Landes sind die Berg-Gorillas die man von hieraus besuchen kann. Allein die Genehmigung um 60 Minuten in der Nähe einer Gruppe Gorillas zu verbringen kostet 1500 Dollar pro Person (!!!). Das lassen wir dann wohl mal aus. Wir trösten uns damit, dass es für die weltweit nur 800 verbleibenden Gorillas dieser Art, bestimmt nicht besonders angenehm ist, täglich von Touristengruppen mit großen Kameras umringt zu sein. Andererseits sind genau diese Touristengruppen und ihr Geld der vermutlich einzige Grund, dass diese Gorilla-Spezies überhaupt bis heute überlebt hat. Dass der Gorilla-Tourismus mehr Geld einbringt, hat der Staat zum Glück erkannt und gibt deshalb sein bestes, die Tiere vor Jägern zu schützen und die Abholzung ihres Lebensraumes zu verhindern. (Thematische Filmempfehlung: „Gorillas in the mist“)



Lieblingsort in Ruanda? Im Allgemeinen die Küste des Kivu Sees und im Besonderen der kleine Ort Karongi (auch Kibuje genannt). Spektakulärer Zeltplatz mit See Panorama, einfach wundervoll! Jeder Morgen beginnt mit dem Öffnen des Zeltes, das den Blick freigibt auf unser ganz persönliches Postkartenmotiv. Kein Ort macht so viel Lust auf zielloses Herumwandern auf den unzähligen Armen der Halbinsel und schon lange haben wir nicht mehr so regelmäßig „Booaahhhhh! Ist das schön!“ gerufen.




"Boahhhhh! Ist das schön hier!"





All diese Dinge, die hier in Ruanda so völlig anders sind als in dem Afrika das wir bisher kannten, sind der beste Beweis dafür, das es „das eine Afrika“ so nicht gibt. Afrika wird häufig eher als „ein Land“ anstatt eines Kontinents gesehen. Auch ich habe vor Antritt dieser Reise nie wirklich darüber nachgedacht, dass dieses „Afrika“ aus 54 eigenständigen Ländern besteht, die man auf keinen Fall in einen Topf werfen und verallgemeinern sollte. Eine sehr gute Idee also, den Kontinent von West nach Ost zu überfliegen um eine andere der vielen Seiten Afrikas kennen zu lernen.

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