2. Juli 2019

"Bonne chance"

Mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch Guinea:


„Bonne Chance“ - Viel Glück – sollte man jedem Menschen wünschen, der es wagt sich in einem öffentlichen Transportmittel durch Guinea zu bewegen. Das haben die Autobesitzer ebenfalls erkannt und diese Botschaft kunstvoll auf die Heckscheiben ihrer schrottreifen Karren gemalt.


Man könnte sagen, mit jedem Schritt mit dem wir uns von Marokko entfernt haben ist das Reisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln kontinuierlich beschwerlicher, unbequemer, langwieriger und absurder geworden. In jedem einzelnen Land auf unserer Route, gingen wir bisher davon aus, dass der Peak der Unbequemlichkeit erreicht wurde und es nun doch eigentlich nur noch bergauf gehen könne... Bis wir feststellen mussten dass es hinter der nächsten Grenze noch mieser sein kann.

Der Grund für diesen Beitrag ist, dass ich mir in Guinea nun wirklich sicher bin eine Dimension des mangelnden Reise-Komforts betreten zu haben die einfach nicht mehr zu toppen ist. Dies bedarf einer Beschreibung:

Die Tortur eines guineischen Reisetags beginnt so früh wie möglich. Busse und Taxis fahren immer dann los wenn sie bis auf den letzten Platz belegt sind – egal wie lange das dauern mag. Zeit spielt  keine Rolle – „Time ain´t money“ hier in Afrika. Wenn man hier von etwas genug hat, dann ist es Zeit. Im besten Fall sind nach 15 Minuten alle Mitreisenden versammelt, erfahrungsgemäß warten wir jedoch viele Stunden...einmal sogar bis zum Morgen des nächsten Tages...

(noch) gut gelauntes Warten am Busbahnhof


Beim Kauf des Tickets versuchen wir stets heraus zu finden wie lange die anstehende Fahrt in etwas dauern wird. Ein hoffnungsloses Unterfangen an Guineas Busbahnhöfen. Die Antwort auf die Frage wird schlichtweg verweigert. Aus gutem Grund: Die Straßen sowie die Autos sind in so schlechtem Zustand, dass es einfach unmöglich ist vorher zu sehen wie oft und in welcher Intensität die Karren zusammenbrechen und „on the road“ wieder zusammengeflickt werden müssen. Die Antwort ist sowieso irrelevant. Schnell haben wir uns damit abgefunden, dass egal wir lang die zu überbrückende Distanz auch sein mag, man nie vor Einbruch der Dunkelheit am Ziel ankommt. Der Rekord liegt bei einer Strecke von etwa 100km, für die wir ganze 15 Stunden gebraucht haben, bis wir mitten in der Nacht in einem stockdunklen Dorf ankamen.

Übergeordnetes Ziel ist es in jedem Transportmittel so viele Menschen und Waren zu transportieren wie irgendwie möglich. Man könnte dabei fast schon von einer Kunstform sprechen die die Guinesen perfektioniert haben.
Die große Mehrheit der Sammeltaxen die auf den Straßen des Landes herumrumpeln sind uralte Peugeot und Renault. Während man in einem solchen Gefährt bei uns mit maximal 5 Personen reisen würde/dürfte, nennt man das Auto in diesem Land optimistisch einen 9-Sitzer. Das geht so: Den Sitz neben dem Fahrer teilen sich zwei Personen, auf die Bank dahinter müssen sich 4 Menschen quetschen und auf die zusätzliche Bank, die im eigentlichen Kofferraum installiert wurde, müssen nochmals 3 Personen. Hinzu kommen diverse Babys und Kleinkinder die auf dem Schoß ihrer Mutter mitreisen.
Soviel zum Innenraum des Autos. Doch irgendwo muss schließlich auch das Gepäck und die Warentransporte hin. Dafür wird auf das Dach eines jeden Taxis ein bemerkenswerter Berg aus buntem Allerlei geschnürt, der locker das Volumen des Autos übersteigen kann. Oben auf diesem Berg können dann nochmals 2-4 weitere Passagiere zu einem reduzierten Fahrpreis mitreisen.
Effizienz oder Wahnsinn?








Nur ein schwacher Trost: Die mitreisenden (lebenden) Hühner haben einen noch unbequemeren Platz als wir...

Als erfahrene Reisende in West-Afrikanischen Ländern haben wir durch tapferes durchprobieren bereits verifizieren können, dass die besten (oder sagen wir lieber die am wenigsten schlimmsten) Plätze, die in der Reihe hinter dem Fahrer sind. Den besonderen Jackpot hat man gezogen, wenn man einen Fensterplatz ergattert, an dem man sowohl das Fenster hoch und runter kurbeln kann, sowie die Tür selbstständig von innen öffnen kann. Dies ist natürlich nur in den seltensten Fällen möglich. Normalerweise fehlen die Fenster komplett und die Tür lässt sich nur durch brachiale Gewalt von außen öffnen – wenn überhaupt.

Sobald das Auto komplett ist, man es geschafft hat alle Reisenden hinein zu stopfen und die Türen gewaltsam zuzudrücken, ist keine Bewegung mehr möglich. Von jeder Seite drücken Körperteile der Nachbarn und/oder Autoteile ins eigene Fleisch, Sauerstoff wird knapp und der Schweiß läuft…
Solange die anderen Passagiere in der eigenen Reihe in etwas unsere Statur haben ist es irgendwie ertragbar, kommt eine voluminösere Person dazu hat man verloren.
Die ersten paar Minuten jeder Fahrt kann man sich kaum vorstellen, dass es möglich sei unter solch klaustrophobischen Zuständen mehrere Stunden auszuharren. Doch da es keine Alternative gibt, übersteht man die Stunden letztendlich doch auf wundersame Weise immer ohne bleibende Schäden.

Dem aufmerksamen Leser wird sicher auffallen, dass ein normales Auto dieses Modells eine solche Last wohl kaum dauerhaft und ohne Schäden durch die Gegend fahren kann. Richtig! Das ist einer der Gründe warum wir in diesem Land kaum eine Fahrt ohne langwierige Reparaturen des Fahrzeugs erlebt haben. Von einem einfachen Platten über dunklen Rauch im Innenraum des Wagens und Motorschäden, bis hin zum kompletten Zusammenbruch haben wir alles erlebt.
Der zweite Grund der Misere ist der miserable Zustand der Straßen für den die Fahrer natürlich nicht verantwortlich sind. Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass ein Auto auf Grund von omnipräsenten Schlaglöchern und Furchen irgendwo auf der Strecke den Geist auf gibt. Wofür mein europäisch-geprägtes Hirn jedoch keinerlei Verständnis aufbringen kann, ist, dass der Wagen bereits fahruntauglich ist bevor man überhaupt den Busbahnhof verlassen hat. Nachdem man Stunden auf die Abfahrt gewartet hat und die Karre umständlich beladen wurde müssen nach den ersten 100 Metern bereits umfangreiche Reparaturen vorgenommen werden. Was soll das und warum beschwert sich niemand?

Reifenwechsel nach den ersten 200m

kompletter Zusammenbruch: Mit den anderen Passagieren müssen wir bis ins nächste Dorf laufen

Ok, ich gebe es zu!
Manchmal ist so eine Reparatur auch eine willkommene Pause um kurzfristig aus dem Wagen-Inneren zu entkommen

langwierige Reparaturen im nächsten Dorf


Diese Art des Reisens klingt vielleicht für manche nach großem Abenteuer - und das ist es auch. Vor allem ist es aber auch sehr sehr anstrengend und kräftezehrend.
In anderen Teilen der Welt habe ich mich oft auf lange Reisetage gefreut: Musik auf den Ohren, aus dem Fenster schauen und vor sich hin träumen. Das Gegenteil ist hier der Fall. Reisetag bedeutet Streßtag von dem wir uns mindestens einen weiteren Tag lang erholen müssen.

Und zu allerletzt möchte ich noch die Vermutung aus der Welt räumen, dass Public Transport unter diesen Bedingungen doch sicherlich sehr sehr günstig sein muss. Hätten wir auch gedacht, ist aber nicht so. Tatsächlich bezahlen wir hier deutlich mehr Geld um von A nach B zu kommen als in den meisten anderen Teilen der Erde.

"Dieu merci" - Danke Gott, wir sind am Ziel angekommen


Bei dem Verkehrschaos in den Städten, bekommen Motorräder schnell unschöne Schrammen und Kratzer.
Völlig logisch also, dass viele einfach die Schutz-Verpackung dran lassen und damit durch die Gegend fahren

Lebend-Transport von zwei Ziegen auf einem Motorrad

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen