4. Dezember 2018

Happy Valley

Im hohen Atlas:



Großstädte bereisen ist toll, bringt aber auch viele Ärgernisse mit sich. Abgesehen davon, dass einem dort ständig irgendwer irgendwas verkaufen will (Touren, Essen, Drogen, Souvenire, etc.) gibt es ein Hauptärgernis, dass uns regelmäßig in den Wahnsinn treibt: Menschen die uns, ohne zu wissen wo wir überhaupt hinwollen, den Weg zeigen und für ihren ungewollten und nicht-hilfreichen Dienst im Anschluss Geld verlangen.  
Nach mehreren Wochen in den großen Städten des Landes ergreifen also die Flucht nach oben: Die empfohlene Reisezeit um den hohen Atlas zu besuchen ist zwar bereits vorbei, aber von so ein bisschen Kälte lassen wir uns nicht abschrecken. 


Unser erstes Ziel ist Ait Bougomez, was übersetzt soviel wie "Happy Valley" bedeutet und zumindest uns auch sehr happy macht. Hier finden wir auf Anhieb alles was wir gesucht haben: Ruhe, wunderschöne Natur, wenige - dafür aber freundliche Menschen, gemütliche Berber Dörfer und leckeres Essen.

Wir quartieren uns in einem sympatischen Guesthouse mit Halbpension ein und erkunden von dort aus zu Fuß die umliegende Umgebung. Hier kann man stundenlang von Dorf zu Dorf laufen und unendlich viele wunderwunderschöne Fotos des wechselnden Bergpanoramas machen. Hin und wieder reitet jemand auf seinem Esel an uns vorbei, motorisierten Verkehr gibt es eher selten. Wir sind begeistert, es ist wahnsinnig schön hier!

Die neue Investition in hässliche praktische Wanderschuhe hat sich bereits jetzt vollkommen gelohnt, denn sie sind im Dauereinsatz! Ich revidiere hiermit offiziell meine Meinung: Chucks sind super, aber aber wenn es ums Wandern in ernst zu nehmenden Bergen geht (oder uns herumlaufen in Monsun-artigem Regen in der Stadt) sollte man sämtliche Fashion-Grundsätze über Board werfen und vernünftiges Schuhwerk tragen. (Ich bin jetzt alt genug, in meinem Alter kann man sowas sagen).

Das Wetter könnte, wie die Fotos beweisen, kaum schöner sein. Tagsüber zumindest. Sobald die Sonne allerdings abends hinter einem der Berge verschwindet, muss man schnell handeln. Dann gilt es so schnell wie möglich sämtliche Kleidungsstücke des Reisegepäcks übereinender anzuziehen (es lebe das Zwiebelprinzip!). Thermo-Strumpfhose, Mütze, Handschuhe, Daunenjacke: Jedes Teil kommt zum Einsatz und auch alle gleichzeitig.

Happy Valley im Panorama



Weltschönster Frühstücksplatz? Die Dachterasse unserer Unterkunft

Wanderungen von Dorf zu Dorf










Auch wenn wir nicht zu den ängstlichen Reisenden gehören, steigt unser Blutdruck bei den spektakulären Fahrten durchs Atlas-Gebirge zeitweise rapide an.
In einem Minivan den man in Deutschland wohl als schrottreif bezeichnen würde, fahren wir die schmalen, unbefestigten Wege durchs Gebirge hoch und wieder runter - 2 Reifen immer knapp neben dem Abgrund wo es viele viele Meter in die Tiefe geht. Ob die Bremsen dieser Karre wohl in den letzten Jahren mal gecheckt wurden? Welche Haltung sollte man im Falle eines Absturzes am besten einnehmen? Welcher der Sitzplätze bietet die statistisch höchste Überlebenschance? Zum Glück ist die Aussicht aus den dreckigen Busfenstern so spektakulär, dass man zwischenzeitlich vergisst sich diesen Gedanken zu widmen.... Wahnsinns Aussicht auf schneebedeckte Bergketten und grüne Täler.

Der kleine Bus ist proppevoll und sensationell langsam unterwegs. Mit höchstens 20 kmh schaffen wir es gerade so eben den Berg hinauf. Es dauert ewig, hat aber den Vorteil, das einem trotz zahlloser Serpentinen nicht schlecht werden kann und das Absturz-Risiko sich minimiert.


Foto aus dem Bus Fenster

Aussichten aus den Minibus

Vor lauter Schnee kann man oft nur schwer erkennen wo die Straße endet und die Schlucht beginnt







Durch die Verkettung verschiedener Zufälle und Bekanntschaften treffen wir Hossein, der in einem abgelegenen Dorf in den Bergen wohnt, das auf unserem Weg ins Dades Tal liegt. Er bietet uns an einen Zwischenstop bei ihm und seiner Familie einzulegen um das Leben dort kennen zu lernen - nach kurzer Überlegung sagen wir zu.
In einem weiteren Minivan tuckern wir, gemeinsam mit Hossein, durch die Berge und steigen irgendwo mitten im nirgendwo wieder aus. "Abgeschieden" bekommt hier eine neue Bedeutung: Über 40 Minuten sind wir von der Strasse aus unterwegs, bis wir Hosseins Dorf im Tal erreichen. Seit 2 Monaten ist es ans Stromnetz angeschlossen. Das Lehmhaus ist relativ groß, aber sehr einfach. Möbel gibt es kaum und sobald es am abend kalt wird, versammelt sich die gesamte Familie in der Küche wo auf einem Blech-Kamin das Abendessen zubereitet wird und es deshalb angenehm warm ist. Es gibt eine leckere Tajine, die in die Mitte des Tisches gestellt wird und aus der alle mit den Händen essen. Obwohl wir kaum eine gemeinsame Sprache sprechen, wird es ein lustiger Abend, auch dank Hosseins Enkelkind, die ein besonderes Interesse für Kenneth Wanderschuhe hegt und diese unermüdlich von einem Ort zum anderen trägt.

"Wie kommen wir von einem so abgeschiedenen Ort jemals wieder weg?" haben wir uns vorher zurecht gefragt. Ganz einfach: in einem Minivan der als Kuh-Transporter umfunktioniert wird. Mit zwei ängstlichen Kälbern und 4 alten Männern tuckern wir pünktlich am nächsten morgen weiter den Berggipfeln entgegen. Noch langsamer, noch überladener als auf den letzten Abschnitten. An besonders steilen Abschnitten versagt der Motor und es muss angeschoben werden.

Auf dem Weg von der "Straße" Richtung Dorf (weiter hinten rechts erkennbar)

Beim Abendessen mit Hosseins Familie




















Kuh-Verladung in den hinteren Teil des Busses. Auf der Bank davor sitzen wir :-)
Mit einem weiteren Zwischenstop in Bou Taghar (dem Valley of Roses) erreichen wir die Dades Schlucht.
Das Atlas Gebirge ist klar auf Platz eins unserer bisherigen Marokko Highlights.


Fluß-Überquerung ohne Brücke

Der Weg hinunter in die Dades Schlucht


Tee in der Sonne
























Ich sende triumphierende Grüße an all die Menschen die die Daunenjacke in meinem Gepäck für eine Afrika-Reise belächelt haben!!!

Farbspiele der Natur


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